Die Strompreise klettern hoch, während die Akzeptanz für Ausbauprojekte von Wasserkraft, Windenergieanlagen und alpine Photovoltaik gering bleibt. Die steigenden Energiebeschaffungskosten würden in den kommenden Jahren spürbar werden, sagt Alex Hollenstein von der Thurwerke AG.
Seit Monaten warnt der Bund vor einer drohenden Stromlücke: Eine Situation, in der sich Elektrizitäts-Nachfrage und -angebot längerfristig in einem Ungleichgewicht befinden. Für Konsumentinnen und Konsumenten würde das im besten Fall steigende Energiekosten bedeuten. Im schlimmsten Fall drohen Abschaltungen oder Kontingentierung, etwa mit einem Nutzungsverbot von Klimaanlagen, Saunas oder Rolltreppen. Die aktuell steigenden Preise seien vor allem den Beschaffungskosten geschuldet, erklärt Alex Hollenstein, Geschäftsleiter der Thurwerke AG. Die Auswirkungen auf das Geschäftsjahr 2021 seien für die Thurwerke noch minimal gewesen. «Die Folgen der anhaltenden hohen Preise werden aber in den kommenden Jahren spürbar sein.»
Dauerhaft höheres Preisniveau erwartet
Swissgrid, die Schweizer Übertragungsnetz-Betreiberin, sieht verschiedene Gründe hinter den steigenden Strom-Beschaffungskosten. Kohle hat sich seit letztem Sommer verteuert, als China nach den Corona-Einschränkungen die Güterproduktion hochgefahren hat. Die weltweiten Bestrebungen in der Klimapolitik liessen die CO₂-Preise in die Höhe schnellen. Nicht zuletzt ging Europa mit einem tiefen Bestand an Gas in den Herbst, und dann kam der Krieg in der Ukraine. Mittelfristig rechnet der Markt laut Swissgrid zwischen 2025 und 2030 mit einem dauerhaft höheren Preisniveau bei der Beschaffung – fast 50 % höher, als es heute der Fall ist.
Aber man kann die Entwicklung der Strompreise nicht einfach auf globale Entwicklungen und Krisen zurückführen, die die Beschaffung erschweren, weiss Alex Hollenstein. Auch die Nutzung spielt eine wichtige Rolle. Die Elektromobilität nehme seit Jahren zu, ebenso die Installation von Wärmepumpen, erklärt Hollenstein. «Gleichzeitig geht der Ausbau erneuerbaren Energiequellen nur langsam voran, und es häufen sich Einsprachen gegen fast alle Projekte.» Das fehlende Stromabkommen mit der EU verschärfe die Problematik noch.
Eine Frage der Akzeptanz
Um die Stromlücke zu schliessen und Preissteigerungen abzufedern, sieht Hollenstein verschiedene Möglichkeiten. Der Ausbau der Photovoltaik in Tal-Lagen sei begrenzt und diene vor allem dem Sommerstrom. «Für den Winter könnten alpine Projekte und der Ausbau der Wasserkraft ansetzen, sofern die Akzeptanz gegeben ist.» Dasselbe gilt für Windenergie: Den grössten Ertrag erziele man damit im Winterhalbjahr, aber die Akzeptanz sei gering. «Windenergieprojekte benötigen in der Schweiz bis zu 20 Jahre zur Umsetzung», so Hollenstein. Mittelfristig wird die Abhängigkeit vom Stromimport unumgänglich sein.
Und regional? Da sieht Alex Hollenstein vor allem den lokalen Ausbau von Energiegewinnung und Stromspeichern sowie eine «smarte» Energieverteilung, etwa bei Ladestationen für Elektroautos, im Vordergrund. Aber auch der Ausbau von regionalen Holzwärmenetzen sowie die Sanierung von Liegenschaften seien Chancen. Und natürlich sei es auch an jedem Einzelnen, seinen Energieverbrauch zu hinterfragen: «Alle wollen zurück zur Natur, aber keiner zu Fuss.»